23. Oktober 2025
Etwa 10 Herren waren am 23. Oktober zu Gast in der Loge Zur alten Linde zu einem Gästeabend. Unser Bruder K. Sezer hatte sich das Idol seiner Zeit des Erwachsenwerdens als Aufhänger für seinen spannenden Vortrag ausgesucht: Ziya Gökalp, Vordenker dessen, was wir gern als die „moderne Türkei“ bezeichnen.
Seine These: Gökalp, der in der Mitte des 19. Jahrhunderts im Osmanischen Reich lebte, hat gleichermaßen Einfluss auf das Wirken Kemal Atatürks zur Staatsgründung der Türkei gehabt, beeinflusst aber auch heute noch Recep Erdoğan, den aktuellen Präsidenten der Türkei. Gleichzeitig ging Herr Sezer dabei der Frage nach, ob – und wenn ja, wie – die Ideale der Freimaurerei die Gedankenwelt Gökalps beeinflusst haben.
Zunächst beschrieb er die Situation der Freimaurerei in der heutigen Türkei. Mit 18.000 Brüdern gibt es dort mehr Freimaurer als in Deutschland (16.000) bei ähnlicher Bevölkerungszahl, allerdings konzentrieren sich die etwa 270 Logen auf nur 24 Städte.
Im Osmanischen Reich gab es die erste Logengründung in Istanbul bereits 1721, also gut 15 Jahre eher als in Deutschland (Hamburg 1738). Mit der Öffnung zu westlich geprägten Gedanken entstanden im 19. Jahrhundert weitere Logen in Istanbul, dazu in Izmir, Thessaloniki, Belgrad und Skopje, wobei Thessaloniki (damals Selânik) das Zentrum der jungtürkischen Bewegung war, die Ziya Gökalp und Kemal Atatürk geprägt hat. Die Stadt hatte eine multikulturelle Bevölkerung aus Türken, Griechen, Juden, Armeniern und vielen Europäern, ihre Logen dienten als Treffpunkte junger Offiziere, Intellektueller und Reformer, hier formierte sich auch die Trägerbewegung der Revolution von 1908.
Das Osmanische Reich, das über Jahrhunderte weite Gebiete in vorderasiatischen Raum, in Südosteuropa und im südöstlichen Mittelmeerraum beherrschte und zahllose Kriege mit Russland, dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, den italienischen Staaten, Persien und selbst Schweden führte, zerfiel im 19. Jahrhundert langsam.
Drei Strömungen prägten die Gedanken und Diskussionen, wie sich das Reich für die Zukunft rüsten könne:
- der Pan-Ottomanismus (Ziel: die Fortsetzung des Osmanischen Reiches trotz seiner ethnischen und kulturellen Vielfalt)
- der Pan-Islamismus (Ziel: die Einheit aller Muslime unter einem Kalifa
- der Pan-Türkismus (Ziel: Aufbau einer modernen nationalen Gesellschaft auf Basis von Sprache, Sitte, Moral und Kunst).
Gökalp war starker Befürworter des dritten Weges, lehnte die beiden anderen als überholt und nicht zeitgemäß ab. Sein Fokus lag auf den Türkvölkern Turans (insbesondere die Türken Anatoliens, Aserbaidschaner, Turkmenen, Usbeken, Kasachen, Kirgisen, Tataren, Baschkiren, Jakuten und andere).
Atatürks „neue Türkei“ fußte auf den Ideen von Kultur und Zivilisation, einer Nation als moralisch-kultureller Gemeinschaft, sozialer Solidarität und der Laizismus.

Recep Erdoğan habe erkannt, dass die reine Westorientierung nicht dem Geist Gökalps und Atatürks entsprach. Unter seiner Führung seien die türkischsprachigen Nationen und Gemeinschaften wieder enger zusammengerückt, nicht als Reich, sondern als kulturell-strategische Union. Er habe
Gökalps Vision eines geistigen Turan neu interpretiert.
Die Frage, ob Ziya Gökalp Freimaurer war, blieb offen, wirkliche Belege dafür gibt es nicht. Kamu aber betonte, dass die Gedankenwelt der Freimaurerei, und hier insbesondere die der europäischen Aufklärung, einen fundamentalen Einfluss auf seine Vision der neuen Türkei gehabt habe.






























