Eine Erweiterung eines gleichnamigen Beitrags der Ausgabe 2/2005 der „Heimat Dortmund“,
Zeitschrift des Historischen Vereins für Dortmund und die Grafschaft Mark e. V. in Verbindung mit dem Stadtarchiv Dortmund
Der Spagat zwischen Tradition und (Post-)Moderne
Es ist naheliegend zu glauben, dass sich der Staub von 150 Jahren in den Heil’gen Hallen (Mozart war Freimaurer, seine Zauberflöte gilt als „die Freimaureroper“) der Dortmunder Loge Zur alten Linde angesammelt hat, spielen doch Tradition und altes Brauchtum bis heute eine zentrale Rolle in der Freimaurerei.
Auch heute noch trifft man sich in der Loge Zur alten Linde regelmäßig einmal pro Woche donnerstags, von einer zweimonatigen Sommerpause einmal abgesehen, wie ehedem in der umgebauten Scheune auf der Brückstraße.
Beide Dortmunder Logen haben mittlerweile ihre eigenen Domizile, Reinoldus in einem Haus in der Gartenstadt am Westfalendamm, die Alte Linde hinter meterdicken Mauern in der Landgrafenstraße 170 im um- und ausgebauten ehemaligen Hochbunker. Idee und Konzept zum Umbau eines Hochbunkers in nutzbare Räume – von der Stadt mit viel Wohlwollen begleitet, da man auf diese Weise den „Schandfleck“ beseitigt bekam – stammte von Brüdern der Loge Zur alten Linde. Man stelle sich die für die Weltmeisterschaft 2006 umgebaute Hohe Straße mit einem solch hässlichen Relikt aus dem 2. Weltkrieg nur einmal vor…
Einige Jahre lang war die Loge Zur alten Linde Untermieterin bei der Schwesterloge am Westfalendamm, aber die dortigen Räumlichkeiten waren für das Anwachsen der Linde, wie sie intern nur genannt wird, auf heute über 140 Brüder einfach nicht groß genug. Auch die ursprünglich nur genutzte erste Etage im Bunker war rasch nicht ausreichend, in 2005 erwarb man eine Hälfte des Erdgeschosses und gewann so auch den großzügigen Eingang unter dem Bogen. Seit nun schon mehreren Jahren gehören auch die hinteren Räumlichkeiten, lange der Ausstellungsort der GalerieGedankenGänge von Galerist und Logenbruder Günther Ziethoff, der Loge, die Umbaupläne stehen.
Genau wie schon im frühen 18. Jahrhundert vereinigt die Loge „freie Männer von gutem Ruf, die einander sonst für immer fremd geblieben wären“, wie es sinngemäß bereits in der fast 300 Jahre alten zentralen Schrift der Freimaurer, den Basic Principles oder Alten Pflichten, heißt. Natürlich hat sich die Definition des „freien Mannes“ gewandelt, er soll ideologisch ungebunden sein, und der „gute Ruf“ hat sich reduziert auf den tadellosen Leumund. Aber damals wie heute gibt es zunächst nichts Verbindendes zwischen den Brüdern, keine Berufs-, Religions-, Verbands-, Vereins- oder Verwandtschaftsbeziehungen, einfach nur eine gewisse Seelenverwandtschaft, die Überzeugung, dass ein jeder von uns aktiv an sich selbst arbeiten muss, damit sich unsere Gesellschaft fortentwickeln kann.
Welchen Sinn hat die Freimaurerei heute?
Im Vakuum der Orientierungs- und Wertelosigkeit der säkularisierten modernen Gesellschaft kann die Freimaurerei wieder Bedeutung gewinnen, denn ohne areligiös oder gar antireligiös zu sein, baut sie auf ein im Diesseits verankertes Wertgebäude eine Art Weltphilosophie.
Der Anspruch an den Bruder heute ist, „wachsam auf die Not um ihn her“ zu sein, wie es im Ritual der Freimaurer heißt. Das bedeutet, dass von ihm soziales Engagement erwartet wird – finanziell oder durch praktische Tätigkeit. So hat die Loge Zur alten Linde in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts eine Altenbegegnungsstätte in der Prinz-Friedrich-Karl-Straße unterhalten, und war, bis zur erbetenen Überleitung an den Paritätischen Wohlfahrtsverband NRW im Frühjahr 2012, mit großer Mehrheit Trägerin des Sozialen Zentrums in der Westhoffstraße, einer wichtigen sozialen Einrichtung im Brennpunkt Nordstadt. Seit der Jahrtausendwende unterstützt sie durch ihre (Unter-) Stiftung Zur alten Linde förderungswürdige Projekte in Dortmund.

Foto: Juliane Herrmann
Was aber tun die Brüder heute, wenn sie sich treffen?
Grundsätzlich und ganz wesentlich unterscheiden sich Logen von allen anderen Bünden durch das Ritual, die aus alter Tradition übernommenen, sehr feierlichen Zusammenkünfte, in denen in der Sprache des Steinmetzen der Dombauhütten dem Einzelnen Weisheiten und Mahnungen mit auf den Weg gegeben werden. Über Form und Inhalt dieser sogenannten Tempelarbeiten sprechen wir nicht, in ihrem Erleben liegt das Geheimnis der Freimaurerei.
Dieses Festhalten an alten Traditionen bedeutet nun aber nicht, dass der Freimaurer von heute ein ewig Gestriger ist, im Gegenteil. Der Freimaurer steht mit beiden Beinen fest im Leben, er ist aufgefordert, sich ständig zu einem besseren Mitglied der Gesellschaft zu entwickeln: To make a good man better, heißt es im Mutterland der Freimaurerei, ausgehend vom Erkenne dich selbst des Orakels von Delphi.
Das Logenleben besteht aber aus erheblich mehr als den rituellen Zusammenkünften, so wichtig und zentral diese auch sind. Es gibt regelmäßige Vortragsabende, bei denen zu den verschiedensten Themen durch interne oder externe Referenten berichtet wird. Dies kann Kultur, Politik und Philosophie genau so betreffen wie medizinische oder juristische Themen. Typischerweise werden dazu gelegentlich auch Gäste – eben Suchende – eingeladen, und auch unsere Frauen sind bei solchen Abenden häufiger dabei. Zwangloser, oft auch heiter gelöst, geht es bei den sogenannten Clubabenden zu, bei denen wir unter uns bleiben. Es gibt feierliche Veranstaltungen mit Festtafel und einmal im Jahr ein großes Fest zu Ehren der Frauen. Besonders reizvoll und beeindruckend sind immer wieder internationale Begegnungen – wir unterhalten besonders freundschaftliche Beziehungen nach Wiltshire (England) und nach Wien.
Da Öffentlichkeitsarbeit nicht nur zu runden Jubiläen für jede Vereinigung heute unerlässlich ist, lädt die Loge Zur alten Linde seit rund dreißig Jahren Jahren Personen des öffentlichen Lebens, aus Politik, Kultur und Wirtschaft zusammen mit Bekannten und Freunden zu ihrem Neujahrsempfang, der seit 2023 – gemäß dem sog. Maurerjahr, das am 24. Juni endet – im Sommer stattfindet. Austragungsort dieser viel beachteten Veranstaltung ist der Westfälische Industrieklub mitten im Herzen der Innenstadt.
Was ist heute das Besondere daran, Freimaurer zu sein?
Menschenliebe, Toleranz und Brüderlichkeit – oder, in etwas modernerer Sprache, ethische Werte, vertrauensvoller Umgang und soziales Engagement sind also auch heute noch die charakterisierenden Merkmale der Freimaurerei – sie sind nach 150 Jahren in Dortmund aktueller denn je.
Wesentliches Merkmal im praktischen Logenleben ist die Begegnung auf gleicher Ebene. Im Ritual heißt es: „… in unserem Kreis sind alle gleich, sind alle Brüder. Hier gilt nur das Ansehen, das der Mensch sich durch seine Lebenshaltung erworben hat.“ Damit soll nun aber nicht der Kumpanei das Wort geredet werden – man zollt dem Gegenüber den Respekt, der ihm als Mensch gebührt, und man achtet seine Privatsphäre.
Ein weiterer wichtiger Wesenszug der Freimaurerei ist ihre Diskretion. Ihre inneren Angelegenheiten werden nicht nach außen getragen. Verschwiegen zu bewahren, was mir ein Bruder anvertraut gelobt jeder Freimaurer bei seiner Aufnahme. Diese Verschwiegenheit betrifft an erster Stelle die Aussage darüber, wer überhaupt Mitglied einer Loge ist. Ohne sein ausdrückliches Einverständnis werde ich niemals über einen lebenden Bruder preisgeben, dass er einer der unseren ist. So ist es Jahrhunderte alte Tradition, und so hat es bis heute Gültigkeit.
Wenn wir auch nicht über das Ritual in der Freimaurerei sprechen, so dürfen wir doch darauf hinweisen, dass wir viel mit Symbolen, die dem Steinmetzhandwerk entlehnt sind, arbeiten. Symbole dienen der Anregung, dem Anstoß zum Nachdenken. Als Beispiel sei der „24-zöllige Maßstab“ genannt, der uns gemahnt, die Zeit mit Weisheit einzuteilen.
Und schließlich: Wie werde ich Freimaurer?
Potenziell kann jeder Freimaurer werden, der sich durch die Ideale des Bundes angesprochen fühlt (wer mag sie schon leugnen?), und der meint, sich mit den tradierten Umgangsformen anfreunden zu können. Der Kontakt zur Loge kann aktiv aufgenommen werden, man muss nicht warten, bis man angesprochen wird. Die einfachste Form der Kontaktaufnahme ist heute das Internet.

Das Kennenlernprozess, das Miteinander-vertraut-Werden, dauert dennoch Monate, denn die Entscheidung darüber, ob jemand in eine Loge aufgenommen wird, hat praktisch einstimmig zu erfolgen, und da es sich hier nach unserem Verständnis um einen Lebensbund handelt, den man eingeht, will die Entscheidung von beiden Seiten sorgfältig getroffen sein – drum prüfe, wer sich ewig bindet…
Kommt es dann zur Aufnahme in den Bund der Freimaurer, so ist diese Initiation, die es in ähnlicher Form schon in der Antike gab, auch heute noch nach Meinung aller, die es erlebt haben, ungeheuer eindrucksvoll. Mozarts eingangs erwähnte Zauberflöte erzählt davon. Wir – siehe oben – sprechen nicht darüber, wir haben uns zur Diskretion verpflichtet. Genau dieses Erleben aber verbindet heute Millionen Freimaurer in aller Welt.
Sie alle – wie ihre Dortmunder Brüder auch – können mit dem Gegensatz zwischen uraltem Brauchtum und Sozialen Medien gut leben. Der Geist der Königlichen Kunst, wie die Freimaurerei auch genannt wird, weht den Staub der Jahrhunderte immer wieder weg, ihre Ideen und Ideale bleiben ewig jung.
Arnim Schneider